„Traut euch!" Leo und Kira über ihr FSJ im Hospiz

Im Herbst endet für Kira (21) und Leo (20) ihr Freiwilliges Soziales Jahr, kurz FSJ, im Hospiz im Helenenstift. Im Interview erzählen sie von ihren anfänglichen Befürchtungen, besonderen Begegnungen mit Gästen und ihrem Umgang mit der eigenen Angst vorm Sterben. Einen Tipp für ihre Nachfolger*innen haben sie auch.

Kira und Leo, wie seid ihr überhaupt darauf gekommen, euer FSJ in einem Hospiz zu machen – es gibt ja durchaus weniger herausfordernde Stellen?
Leo: Ich wusste nach der Schule noch nicht, wohin? Ich wusste nur, dass ich nicht direkt eine Ausbildung anfangen oder an die Uni gehen wollte. Außerdem wollte ich schauen, ob der soziale Bereich etwas für mich sein könnte. Und dann war es tatsächlich ganz plump (lacht): Meine Mutter ist Krankenschwester, hat jahrzehntelang auf der Intensivstation gearbeitet. Über eine palliative Fortbildung hat sie die Pflegedienstleitung hier im Hospiz kennengelernt. Die haben dann darüber gesprochen, dass ich jetzt in dem Alter bin und dann wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust auf ein FSJ hier hätte.

Und dann war die Sache klar?
Also, ich habe mich schon ein bisschen schwer getan mit der Entscheidung … Es ist weit weg von zuhause und ich hatte vorher nichts damit zu tun. Meine Mutter hat dann gesagt, sie traut mir das zu. Ich war dann einen Tag hier, habe mir das Haus zeigen lassen und hatte ein Gespräch, was mich hier überhaupt erwarten würde.

Was hast du dabei erfahren?
Leo: Wie so ein Tag hier abläuft. Was ich machen werde. Dass es auch viele Situationen geben wird, wo man denkt: „Puh, vielleicht ist das jetzt gerade heftig!" Dass es immer okay ist, zu sagen: Das ist mir jetzt zu viel. Dass man nicht alles können, wissen, sehen muss. Dann habe ich mir noch ein Wochenende Zeit gelassen und habe mich dann dafür entschieden.

Kira, wie war das bei dir: Warum Hospiz?
Kira: Ich wusste nach der Schule auch noch nicht, was ich machen möchte. Ich wollte aber nicht einfach irgendwas machen, damit ich was habe. Dann hatte ich mir überlegt, dass ich erstmal ein FSJ machen kann, um zu gucken, was etwas für mich wäre. Ich hatte mal ein Praktikum im Kindergarten gemacht und das war nicht so meins (lacht). Dann habe ich eher in Richtung Krankenhaus oder Hospiz gedacht, weil ich den medizinischen Aspekt schon sehr interessant finde. So bin ich hier gelandet. Bei meinem Vorstellungsgespräch hat man mir erzählt, dass es noch einen anderen FSJler gibt. Ich wusste also: Okay, ich wäre nicht alleine. Das war auch schon mal ganz angenehm zu wissen, dass man dann jemandem im selben Alter zum Reden hat. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, habe ich dann am nächsten Tag zugesagt.

Hattet ihr an eurem ersten Tag Befürchtungen, dass direkt jemand im Hospiz stirbt?
Leo: Ich habe im Spätdienst angefangen und erst mal bei der Übergabe durch das Pflegeteam zugehört. Da wurde gesagt, dass ein Gast sterbend ist. Bis dato hatte ich noch nie einen Toten gesehen. Alle meine Verwandten leben noch oder sind schon früher gestorben. Deshalb wusste ich einfach nicht, was auf mich zukommt. Meine Kollegin hat gesagt: „Wenn du da nicht mit ins Zimmer gehen willst, musst du das nicht machen." Ich habe dann einer anderen Dame, die noch relativ stabil war, aus der Zeitung und einem ihrer Bücher vorgelesen. Sie war in den 1930ern geboren und konnte zu jeder Geschichte noch etwas erzählen. Das, was dann auch irgendwann verloren geht, wenn die Menschen nicht mehr da sind. Sie hat sich auch immer gefreut, wenn ich da war. Da konnte ich langsam den Umgang lernen. Nach der ersten Woche war ich input-mäßig erst mal sehr voll, aber ich hatte jetzt keine Situation, wo ich sagen würde. „Oh, das war richtig schlimm!"

Kira: Ich habe mein FSJ mit einem externen Seminar begonnen. Dabei habe ich schon von Leo ein paar Sachen gehört, wie es im Hospiz abläuft. Von daher konnte ich mir das schon ein bisschen besser vorstellen. Ich bin dann hier zum Frühdienst gestartet. Leo war auch da und hat mir Sachen gezeigt. Dadurch war der Einstieg für mich ein bisschen einfacher.

Zusammen beim Zahnarzt

Erinnert ihr euch an besondere Situationen mit den Hospiz-Gästen?
Kira: Ja, das war ein Gast, der war präfinal, also schon im Sterbeprozess. Ich bin dann mit der Pflegekraft, die mich eingearbeitet hat, zwei Tage mit ins Zimmer gegangen. Der Gast ist dann am Wochenende verstorben, ich war nicht dabei aber es war mein dritter oder vierter Tag hier. Ich muss dazu sagen, ich war dabei, als meine Oma gestorben ist. Es war also nichts völlig Neues für mich. Ein andere Gästin war sehr unruhig und ist immer aufgestanden, obwohl sie nicht mehr so gut laufen konnte. Das war um Weihnachten rum. Ich war dann ganz oft bei ihr im Zimmer und wir haben zusammen Märchen im Fernsehen geguckt. Sie hat nicht viel geredet, aber einfach so da zu sein, war schön.

Leo: Mit einer Gästin war ich mal beim Zahnarzt. Da hat die Ärztin mich gefragt, ob ich der Enkel wäre. Und dann hat sie gesagt: „Nein, das wünschte ich!" Ich weiß ja, wie es ist, eine Oma zu haben, aber es ist trotzdem noch einmal schön zu sehen, dass man den Menschen das Gefühl zu geben, dass wir da sind, gerade als junge Menschen. Manche Gäste haben auch nicht so viele Angehörige.

In ihrem Bestseller „Fünf Dinge, die Sterbenden am meisten bereuen" (2011) erzählt die australische Sterbegleiterin Bronnie Ware, dass Menschen am Lebensende sich oft wünschen, sie hätten nicht so viel gearbeitet oder sie hätten ihr Leben so führen sollen, wie sie es wollen. Habt ihr Ähnliches auch von Gästen gehört?
Leo: Mit mir ist jetzt nicht so oft über so ganz tiefgründige Dinge geredet worden, weil dafür ja auch unsere psycho-sozialen Begleiterinnen da sind. Ich kann mich erinnern, dass eine Gästin einmal gesagt hat: „Ich hätte gern noch mehr Zeit mit meiner Familie verbracht und auch mit meinem Mann." Einmal hatte ein Vater jahrelang keinen Kontakt mit seinem Sohn Aber seitdem er hier im Hospiz war, hat sich das geändert. Der Vater hat gesagt: „Gott hat uns wieder zusammengeführt." Viele Menschen halten sich am Glauben fest. „Ich habe keine Angst vorm Sterben, weil ich ja weiß, was danach passiert."

Kira: Ich habe beide Seiten gehört: Manche Gäste sagen, sie möchten, dass es endlich zu Ende ist und es gibt andere, die sagen, sie möchten, dass es noch mal besser wird. Sie möchten noch mal irgendetwas unternehmen oder eine Reise machen.

„Hier wird sich Zeit genommen"

Hat dieses Jahr, wo ihr so viel mit Tod zu tun hattet, euer eigenes Verhältnis zum Sterben verändert?
Leo: Ich würde sagen, ich hatte auch vorher keine Angst vorm Sterben, aber ich habe mich einfach nicht damit befasst. Wenn ich anderen erzählt habe, wo ich mein FSJ mache, haben viele so reagiert: „Oh, das ist ja voll schlimm! Hospiz – da sterben ja die ganzen Menschen!" Ich habe mal von einer Kollegin gesagt bekommen, dass man darauf am besten so antwortet: Menschen sterben überall, aber im Hospiz hat man Zeit dafür. Ja, Sterben ist das Ende des Lebens und wer weiß, was danach ist. Ich finde, im Hospiz ist das noch mal etwas ganz Anderes als anderswo. Hier ist es der Alltag, was für viele so ein schlimmes Thema ist. Wenn ich so krank wäre, würde ich es auch schön finden, in einem Hospiz zu sein.

Kira: Ich bin sehr froh, dass ich hierhin gekommen bin. Im Hospiz wird sich viel Zeit genommen für die Leute und es wird auch sehr auf sie eingegangen. Von manchen Gästen hat man Geschichten aus dem Krankenhaus mitbekommen, wo man sich wirklich nur gedacht hat: Was die da alles durchgemacht haben! Die Pfleger*innen da haben natürlich nicht so viel Zeit. Wenn hier mal jemand zum Beispiel sagt: „Nein, ich möchte jetzt nicht!" dann wird das auch respektiert – sei es, wenn es um Medikamente geht, um Essen oder andere Sachen. Man respektiert einfach, was die Person in dem Moment möchte.

Hattest Du vorher Angst vorm Sterben?
Kira: Nicht unbedingt Angst, ich hatte halt schon durch meine Oma und auch meinen Opa davor mit dem Ganzen zu tun, von daher wusste ich: Es kann jederzeit passieren aber ich glaube, seitdem ich mich damit noch mehr beschäftige, ist es noch mehr Teil des Lebens geworden. Irgendwie bin ich damit jetzt gelassener.

Was würdet ihr euren Nachfolger*innen mit auf den Weg geben?
Leo: Erst mal finde ich, es wird hier sehr behutsam mit Einem umgegangen. Ich habe sehr das Gefühl gehabt: Ich muss nichts alleine machen. Es sind Sachen dabei, wo ich sagen muss, das ist nicht schön, aber Erfahrungen zu machen ist mir schon sehr wichtig gewesen. Ich wurde auch sehr viel gelobt. Unsere Kolleg*innen haben gesagt: Die Arbeit, die ihr macht ist wirklich etwas Besonderes, weil wir junge Menschen sind, die aus der Schule kommen, die eigentlich mit dem Thema Tod nichts zu tun haben. Was ich als Tipp geben kann: Traut euch Sachen! Ich habe gemerkt, man gewöhnt sich an sehr viele Dinge. Nur weil man etwas nicht kennt, heißt das nicht, dass man es nicht kann. Für mich sind viele Sachen schnell normal geworden, wo ich am Anfang noch gesagt habe: „Keine Chance, dass ich das mache!" Zum Beispiel, auch mal bei der Pflege zu helfen. Allein schon, jemanden nackt zu sehen … Es ist nicht schlimm, wenn man Sachen nicht kann, aber offen ist für Neues. Wenn man es gemacht hat, fühlt man sich auch besser, ist meine Erfahrung. Aber es ist auch wichtig, Grenzen zu setzen. Dass man sich nicht auf eine Ebene begibt, wo einem das alles sehr, sehr nahe geht.

Kira: Ich habe mich hier auch sehr aufgehoben gefühlt. Man konnte jederzeit mit jemandem reden. Ich wurde auch immer gefragt: Bist du damit okay? Fühlst du dich damit sicher? Ich konnte auch jederzeit aus dem Zimmer gehen, wenn mir etwas zu viel wurde. Man sollte sich auf jeden Fall auf das Ganze einlassen. Ich wusste anfangs auch nicht, wie weit ich mir die Mitarbeit bei der Pflege vorstellen kann. Zum Beispiel dabei zu helfen, Gäste zu duschen, bei denen das noch ohne spezielle Assistenz ging. Mittlerweile habe ich damit gar kein Problem mehr. Man macht sich am Anfang viel mehr Gedanken, als es im Endeffekt braucht.

Zum Schluss noch eine Frage: Hat das FSJ im Hospiz eine Auswirkung auf eure Berufswahl gehabt?
Kira: Es hat auf jeden Fall meine Berufswahl beeinflusst. Ich will mich jetzt für eine Ausbildung als Notfallsanitäterin bewerben. Das passt, glaube ich, noch besser zu mir, wenn ich dabei helfen kann, Leben zu retten.

Leo: Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich eine Pflegeausbildung mache, aber bei mir ist es jetzt Soziale Arbeit geworden. Das FSJ hat maßgeblich dazu beigetragen, zu sagen, das ist es, was ich machen will. Das Gefühl am Ende des Tages: Ich habe jetzt was Gutes gemacht. Wenn man da spirituell rangehen will: Karma (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch!

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Published On: 21. August 2025Tags: , Categories: Hospizarbeit, Stationäres Hospiz

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